V

 

»Heute ist unser Glückstag!«, rief Marc und sprang auf. »Wir machen es schnell und sauber. Hingehen, verhaften, abführen – fertig.«

»Handschellen hast du?«

»Spezialanfertigung – verhindert die Verwandlung bei Werwölfen. Also dann …« Er nahm einen letzten Schluck, dann bedeutete er mir, ihm zu folgen.

Wir durchmaßen möglichst unauffällig den Club. Dabei hielten wir die Hände bereits an den Waffen, um rasch reagieren zu können.

Pérez sah uns zwar kommen, schien uns aber keine Bedeutung beizumessen. Nur kurz schaute er in unsere Richtung.

Dann standen wir vor ihm. »United States Marshals Service!«, erklärte Marc und zückte seinen Ausweis. »Antonio Ramon Pérez – Sie sind verhaftet!«

Der Werwolf starrte erst ihn, dann mich an.

Ein Lachen drang aus seinem Mund.

»Da war ich ein paar Jahre nicht im Land. Aber kaum bin ich zurück, schon hängt mir die Spezialabteilung des USMS am Hintern.«

Der Werwolf schaute mich an. »Und so hübsche Deputys habt ihr. Zu schade, dass ich euch töten muss, solltet ihr mich wirklich verhaften wollen.«

Er hob die rechte Hand, betrachtete sie und ließ sie zu einer tierischen Klaue mit enorm scharfen und spitzen Krallen werden. »Was, wenn ich …«

Er wischte damit durch die Luft, um mir die Krallen durch das Gesicht zu ziehen. Aber ich war schneller.

Gedankenschnell blockte ich den Schlag ab, ging in die Hocke und ließ meinerseits einen Hieb mit der flachen Hand gegen seinen Solarplexus krachen.

Pérez keuchte und wankte zurück. Es fiel ihm schwer, sich auf den Beinen zu halten.

Ich hingegen war noch nicht fertig, ließ einen Spin-Kick gegen seinen Kopf folgen und brachte ihn zu Fall.

»Genug gescherzt!«, schrie Marc. Er nahm die Handschellen aus der Tasche seiner Jacke und beugte sich zu Pérez, der reglos auf dem Boden lag.

Ich hingegen hielt die Umgebung im Blick, den Ausweis mit dem Marshal-Stern in der Hand.

Fast glaubte ich schon, Marc hätte es geschafft und die Sache zu Ende gebracht. Aber plötzlich bewies Pérez, was in ihm steckte. Er trat nach meinem Partner, schleuderte ihn von sich und sprang auf.

Seine Arme wuchsen an, sein Gesicht verformte sich und die Kleider rissen, wo sie zu eng wurde.

»Verwandele dich, und du bist totes Fleisch!«, rief ich dem Werwolf zu und brachte meine Pistole in Anschlag.

Plötzlich aber erklangen rechts und links von mir wütende Knurrlaute. Andere Werwölfe hatten sich bereits verwandelt und standen sprungbereit da. In ihren gelben Augen loderte Hass auf uns.

»USMS – Spezialabteilung!«, rief Marc, während er in die Höhe kam. »Ihr solltet vernünftig sein und uns unseren Job tun lassen.«

Pérez riss sich die Kleider vom Leib. Er war nun vollends verwandelt. Ein über zwei Meter großer, kompakter Werwolf. Geifer troff über seine Lefzen.

Auch mein Partner hielt seine Waffe in Händen, schoss aber nicht. Allein sein Blick sagte mir, dass ich ebenfalls den Finger vom Abzug nehmen sollte.

»Er war unser Rudelführer«, knurrte einer der Werwölfe. »Wir waren gegen seinen Rauswurf. Unsere Treue gehört ihm.«

»Willst du für diese Treue sterben?«, fragte Marc und richtete seine Pistole auf jenen, der gesprochen hatte.

»Hey Leute!«, rief das magere Hemd von der Theke her. »Keiner muss sterben, wenn ihr alle vernünftig seid. Wir kennen die Regeln hier unten. Ja, wir kennen sie und achten die Spezialabteilung des USMS, weil sie immer fair ist. Aber wir achten auch unsere Kunden. Also tragt das woanders aus!«

Die Werwölfe umringten uns. Ich sah Pérez, hatte aber keine Schussbahn mehr.

Das begriff er auch. Plötzlich stieß er ein Heulen aus.

Sofort warfen sich die Werwölfe auf uns, rissen uns zu Boden und hielten uns nieder, während Pérez den Club entlang lief, dann auf die alten Gleise sprang und im Tunnel verschwand.

Kaum war er weg, als die Werwölfe sofort von uns abließen und die Rückverwandlung einsetzte. Manche hatten derart große Kleidung an, dass sie heil geblieben war. Andere würden gleich nackt im Club stehen.

Aber das kümmerte uns nicht. Wir schubsten die Mitglieder des Blood & Guts zur Seite und spurteten los.

»Die Schienen stehen noch unter Strom!«, warnte ich Marc. »Pass auf die mittlere Schiene auf. Wenn du sie betrittst, bist du Grillgut!«

»Fuck!«, kam es zurück.

Gemeinsam eilten wir den Tunnel entlang. Weit vor uns hörten wir Winseln, Keuchen und hektische Schritte.

»Dreck.« Marc blieb stehen, zielte in die Dunkelheit und schoss.

Ein lautes Winseln war zu hören, dann wieder Schritte.

Wir liefen weiter und weiter.

»Da ist Blut!«, rief ich Marc zu. Im Schein des Restlichtverstärkers waren die Tropfen gut zu erkennen. »Viel ist es nicht. Wahrscheinlich ein Streifschuss.«

Wir folgten der Spur. Sie bog plötzlich nach links ab, verlief zwischen zwei Pfosten hindurch und führte über hell glänzende Schienen.

Der Tunnel, den wir nun erreichten, wurde in regelmäßigen Abständen von Notlampen erhellt. Von links erklang das charakteristische Rattern eines Zuges.

Lichter stachen wie Lanzen aus dem düsteren Schacht, dann jagte eine U-Bahn heran. Wir wichen zurück. Der Fahrtwind zerrte an uns. Hinter den hell erleuchteten Scheiben sahen wir schemenhaft die Fahrgäste.

Dann war der Zug durch.

»Weiter!«, rief ich Marc zu und lief los.

»Das sind vier elende Trassen!«, erkannte mein Partner. »Pass auf, da kommt einer von rechts!«

»Aber auf welchen Schienen?«, rief ich zurück, blickte der Bahn entgegen und sah, dass sie mich hinter meinem Rücken passieren würde. »Achtung Marc!«

Er sprang zurück, dann war der Zug auch schon da und fegte vorbei. Wieder zerrte der Wind an mir, zog mich an.

»Scheiße. Ich will hier runter!«, rief Marc wütend und spurtete los.

Wir erreichten die Tunnelwand. Hier war Platz, um hintereinander nach rechts oder links zu laufen, ohne von einem der Züge erfasst zu werden. Zudem waren alle Meter Bügel in die Wand getrieben, an denen man sich festhalten konnte.

»Nach links!«, rief Marc, der die Blutspur entdeckt hatte. »Und dann los. Er will bestimmt irgendwo vor der nächsten Station raus.“

Gemeinsam liefen wir los.

 

*

 

»Hier ist er raus.« Marc deutete auf Sprossen, welche die Schachtwand entlang nach oben führten. Sie endeten vor einer Klappe, die lediglich halb geschlossen war.

Deutlich konnten wir das Blut an den Stiegen erkennen.

Marc hatte ihn nur gestreift. Sonst wäre ihm die Munition zum Verhängnis geworden, denn sie verfügte über eine Mixtur spezieller Inhaltsstoffe, die paranormale Kreaturen ausschalteten. Da dies nicht geschehen war, hatte ihn das Geschoss nicht getroffen.

Wir erklommen die Sprossen und folgten ihm auch weiterhin. Als ich jedoch die Klappe nach oben schob und mich ins Freie wuchtete, war klar, dass wir ihn endgültig verloren hatten.

Wir befanden uns im Central Park.

Unweit von uns entfernt standen Beamte um eine nackte Leiche eines recht großen Mannes herum und besahen sich den Toten. Zeugen standen abseits und gestikulierten wild mit den Armen.

Noch waren weder Spurensicherung noch Gerichtsmedizin oder Mordkommission zu sehen.

»Der Werwolf verließ den Schacht, suchte sich sofort ein Opfer und tötete es. Dann verwandelte er sich zurück, zog sich die Kleider des Toten an und verschwand.« Marc trat gegen einen Stein, der am Wegrand lag.

Wir gingen zu den Polizisten.

»Was wollen Sie denn?«, fragte einer von ihnen barsch. »Verschwinden Sie, hier gibt es nichts zu sehen.«

Ich grinste freudlos. »Ein nackter, zerfleischter Mann, dessen Überreste aus einem Gestrüpp ragen, nennen Sie nichts

»Wollen Sie mich verarschen?«, brüllte der Beamte. »Ich hatte einen beschissenen Tag und das hier macht es nicht besser. Also …«

Marc kam heran, beide zückten wir unsere Ausweise. »USMS. Wir verfolgen einen Flüchtigen. Er hat das hier angerichtet, um sich die Kleider des Opfers zu holen. Er war … nackt.«

»Oh Fuck!«, stöhnte der Beamte. Dann erhellte sich seine Miene. »Da kommen die Kollegen vom Morddezernat. Die werden sich freuen.«

Daran zweifelten wir, denn beide sahen nicht so aus, als würden sie sich über irgendetwas freuen.

Erneut wiesen wir uns aus, nannten den Namen des Täters und machten den Cops klar, dass sie sich aus der Sache herauszuhalten hatten. Ganz egal, wer Opfer von Pérez geworden war.

Die New Yorker Polizisten und Staatsanwälte, so erklärte mir Marc demonstrativ, während die Cops daneben standen, hatten die Angewohnheit, Morde auf dem Stadtgebiet persönlich zu nehmen. Sie drängten darauf, den Täter selbst verurteilen zu dürfen.

Aber das war in diesem Fall ausgeschlossen.

Wir ließen die Rufnummern unseres Mobilanschlusses zurück, dann machten wir uns auf den Weg zum Hotel. Im Trainspotting würde sich Pérez so schnell nicht mehr sehen lassen.

Mehr noch – es bestand die Möglichkeit, dass er sich absetzte. Wenn, dann hatten wir es grandios versaut.

Anders konnten wir es kaum nennen.

Auf dem Weg zum Hotel machten wir bei einem Schnellrestaurant Halt und aßen etwas.

»Auch wenn wir ihn nicht haben, war das gute Arbeit da unten«, lobte mich Marc. »Ich hatte Bedenken, mit dir zu arbeiten. Vor allem als ich hörte, wer du bist. Aber jetzt weiß ich, dass auf dich Verlass ist!«

»Danke für das Kompliment.« Ich grinste ihn an. »Du bist bislang der beste Partner, den ich hatte.«

»Ach was?«, fragte er erstaunt. »Das weißt du schon nach so kurzer Zeit?«

»Sicher, ich hatte noch nie welche.«

Er nahm zwei Pommes und warf sie mir über. Dann aber aßen wir schweigend.

»Pérez wird nicht die offiziellen Wege nutzen, um das Land zu verlassen. Das letzte Mal reiste er illegal mit einem Frachtschiff«, erzählte mir Marc auf dem Weg zum Hotel. »Da die Fahndung von damals nie aufgehoben wurde, werden wir dennoch informiert, sollte er ein Flugticket buchen oder die Grenzen passieren.«

»Die Beamten haben hoffentlich Anweisung, uns zu informieren, nicht aber zuzuschlagen. Sonst gibt es ein Blutbad!«

Marc beruhigte mich. »Natürlich. Wenn er nach Mexico fliegt, kontaktieren wir die Kollegen dort. Geht er nach Südamerika, haben wir erneut verloren. Genau wie damals.«

Dass er nichts von alledem plante, merkten wir im Hotel. Pérez hatte uns eine Nachricht hinterlassen.

Morgen Abend ab 8 p.m. in der Bronx. Dort bringen wir es zu Ende, ihr Wichser!

»Sieht aus, als hätten wir ein Date!«, scherzte ich. »Auch wenn die Bronx groß ist und ich nicht weiß, wie wir ihn finden sollen.«

Marc schürzte die Lippen. »Keine Angst, den finden wir!« Der Blick, den er der Botschaft schenkte, verhieß nichts Gutes …